Das Miteinander von Hund und Mensch wird vor allem vom Alltag - 23 Stunden am Tag - und nicht von 1 Stunde am Hundeplatz geprägt.
Meines Erachtens wächst man vor allem im alltäglichen Umgang zusammen, lernt sich kennen mit allen Schwächen und Stärken, fordert und fördert sich, meistert die verschiedensten Situationen, erlebt Stress & Ablenkungen, aber auch Erfolgserlebnisse…
Im Bestfall erwächst so eine Bindung und ein tiefer Bezug zueinander, genauso Vertrauen und Zuverlässigkeit. Voraussetzungen für eine spätere - möglichst perfekte und harmonische - Ausbildung!
Das funktioniert natürlich nur, wenn die Beziehung zwischen Mensch und Hund klar ist, der Hund also gerne etwas für seinen Besitzer tut, er ihm Anerkennung und Respekt zollt und ihn nicht grundsätzlich in Frage stellt.
Für mich zweifelsfrei: OHNE ERZIEHUNG KEINE AUSBILDUNG MÖGLICH!
Nach meinem Konzept muss erst die (Alltags-)Erziehung im Vordergrund stehen und dann später weiterführend die Ausbildung folgen.
Mit der Erziehung wird also der Grundstock für die spätere Ausbildung gelegt.
Viele alltägliche Erziehungsübungen haben zudem einen direkten Bezug zu Aufgaben in der Ausbildung.
Hier nur einige Beispiele zum Verständnis:
Kann mein Hund auch unter Ablenkung (Stadt, Verkehr, Lärm, …) zuverlässig und an lockerer Leine neben mir laufen, so wird er doch sicher auch in der Fußarbeit später weniger Konflikte und Irritationen mit äußeren Einflüssen / Ablenkungen haben.
Hat mein Hund im Alltag keinerlei Probleme, Sachen zu tragen, sie mir zu bringen und auch abzugeben, so werden doch sicher auch die späteren Apportier-Übungen konfliktfreier und erfolgreicher von statten gehen.
Kann mein Hund sich im Alltag auch in höheren Trieblagen „zusammen reißen“ (Radfahrer, rennende andere Hunde, aufspringendes Wild, …), so wird doch auch der Gehorsam bspw. im Schutzdienst sicherer klappen.
Was ist also Erziehung?
- Zum einen die Berücksichtigung von dem Hund angeborenen natürlich Verhaltensweisen, die ihm durch sein „genetisches Programm“ bereits mit der Geburt in die Wiege gelegt wurden -> hier fallen Körpersprache, Weisungsberechtigungen, Privilegien und Pflichten rein, die im Weltbild des Hundes fest verankert und für ihn klare & wichtige Bezugspunkte sind.
- Zum anderen Übungen, die in Menschen-Köpfen entstanden sind, zu denen der Hund also erst mal keinen Bezug hat und die ihm daher erst einmal beigebracht werden müssen. Hier greifen Lernketten, Konditionierung und Verstärkung ineinander.
Es lohnt sich, sich mit diesen beiden Bereichen zu beschäftigen und zu wissen, wann auf das „natürlichen Programm“ des Hundes zurück gegriffen werden kann und wann Übungen dem Hund erst einmal beigebracht und Schritt für Schritt aufgebaut werden müssen.
Erziehung = Führung -> heißt vor allem Fairness, Souveränität, Glaubwürdigkeit und Präsenz.
Könnten wir einen Blick in den Hundekopf werfen, würden wir vielleicht folgende zwei große Fragen erkennen, die sich unsere Hunde im Zusammenleben mit uns stellen und mit deren Beantwortung sie sich beschäftigen möchten:
„Wer bestimmt wo’s lang geht?“
„Wem gehört was?“
Daraus resultieren wiederum folgende konkrete Fragen, die in der Erziehung von Bedeutung sind und die wir uns daher stellen sollten:
Diese Punkte sind es, die u.a. in der Erziehung zu klären sind. Und auch, ob sie ebenfalls mit „Ja“ beantwortet werden können, wenn sich Ablenkungen / Stress / Anforderungen / etc. steigern.
Die Möglichkeit, unserem Hund diese für ihn so wichtigen Fragen zufriedenstellend zu beantworten, können wir Menschen uns durch Wissen rund um das Wesen von Hunden aneignen, durch Reflektion des eigenen Handelns und durch Beobachtung unseres vierbeinigen Gegenübers.
Ein weiteres wichtiges Element, das häufig vergessen oder übersehen wird ist die Stimmungsübertragung. Im Umgang mit dem Hund werden wir sie immer wieder antreffen; man sollte sich ihrer bewusst sein: ungute Stimmungen übertragen sich auf den Hund genauso wie positive Stimmung, Freude und Motivation.
Hunde „sehen“, „riechen“ und „spüren“ immer, in welcher Stimmungslage wir Menschen uns befinden, das beeinflusst maßgeblich die Kommunikation miteinander - ob bewusst oder unbewusst - sowohl natürlich im Alltag in der Erziehung, als auch später in der Ausbildung.
Kann man seine eigene Stimmung beeinflussen, bekommt man also die Möglichkeit, auch die Stimmung seines Hundes maßgeblich zu beeinflussen. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das gemeinsame Tun - im alltäglichen Miteinander sowie beim Training am Hundeplatz.
Um ihn erziehen zu können, sollten wir verstehen, wie ein Hund denkt, was ihm wichtig ist und welche Voraussetzungen er benötigt um gewünschtes Verhalten zu zeigen.
Eva Scherer